Essenzen 4

Willst du einen sogenannten Philosophen den Mund stopfen, wenn er dir sagt, in unserem Leben sei die Summe der Leiden grösser als die der Freuden, so frage ihn nur, ob er ein Leben haben wolle, worin es weder die einen noch die anderen gebe. Er wird dir nicht antworten oder er wird Ausflüchte machen; denn wenn er die Frage verneint, so liebt er das Leben so wie es ist, und wenn er es liebt, so findet er es also angenehm; angenehm aber könnte es nicht sein, wenn es lästig wäre. Wenn er aber die Frage bejaht, so gesteht er, dass er ein Dummkopf ist; denn dann muss er das Vergnügen in der Gleichgültigkeit erblicken, und das ist Unsinn.

Leiden ist untrennbar verbunden mit der menschlichen Natur; aber wir werden niemals leiden, ohne Hoffnung auf Heilung zu hegen, oder zum mindesten kann dieser Fall nur sehr selten vorkommen; Hoffnung aber ist eine Freude.

— Giacomo Casanova, Erinnerungen, Bd. II.

Freigeistlich = geisteskrank?

Kann es denn sein? Bin ich denn geisteskrank? Per Definition sind dies all jene Menschen, die sich im Allgemeinen durch Verhaltensformen ausdrücken, die in der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Ach, welch Frevel … Sind es doch jene Freigeister, die mein Leben so bereichern.

Doch was ist es, was in der Gesellschaft als anerkannt gilt und was nicht? Was ist es, was wir als normal und unnormal empfinden? An diesem Punkt stelle ich mir ebenso die Frage, wie sehr der Mensch überhaupt noch empfindet.

Sekunde um Sekunde, Augenblick um Augenblick — all diese Eindrücke, Emotionen, Wahrnehmungen, die stets an uns vorbei ziehen. So viele Momente, mit denen wir unser Leben um so vieles erweitern könnten. Ach, ich finde keine Antworten — nicht in diesem Augenblick.

Doch ich bitte euch hiermit aufrichtig: Geht mit offenen Augen durch die Welt, oder nehmt euch ab und an die Zeit, um jene einfach nur zu schließen! Hört, riecht, schmeckt und fühlt eure Umgebung! Empfindet, lebt und macht das beste aus eurer Zeit! Denn jeder Augenblick ist einmalig, und nur jetzt habt ihr die Chance, diesen zu genießen.

In diesem Sinne:

Denken ist wundervoll, aber noch wundervoller ist das Erlebnis. — Oscar Wilde

Erinnerung

Ich habe mich dazu entschlossen, über einen Menschen zu schreiben, den ich aufrichtig bewundere — einen Menschen, der es verstand, seine Zeit zu nutzen, in nahezu jeder Gesellschaft, in der er sich bewegte, Anerkennung zu finden, und der mit all seinem Tun nur ein einziges Ziel verfolgte: zu leben!

Der Mensch, den ich so sehr schätze, ist kein anderer als Giacomo Casanova.

Casanova, im Volksmund wohl eher das Synonym für die hohe Kunst der Verführung, war aber mehr als nur ein Freund der Fleischeslust. Denn je mehr ich mich mit dieser Persönlichkeit auseinandersetzte, umso besser lernte ich einen Menschen kennen, der trotz vieler, immer wiederkehrenden, Miseren einen Weg fand um seinem Unglück zu entkommen um das zu wahren was ihm am allerwichtigsten war: das Leben und die Möglichkeit dieses voll auszukosten.

Casanova ist für mich wie ein Denkmal — Eine Erinnerung. Ein immer währendes Mahnmal dass mir zeigt dass es im Leben stets Alternativen gibt — dass es immer, wie schlimm es auch kommmen mag, etwas gibt, für dass es sich zu leben lohnt.

Und auch trotz der vielen, allzu menschlichen, Fehler die er zu seiner Zeit begann, war er eine Persönlichkeit — Ein Mensch den ich stets, und von ganzem Herzen, achten werde.

Ruhe in Frieden, mein Seelenfreund!

Leiden liegt in der menschlichen Natur; aber wir leiden nie, oder zumindest sehr selten, ohne die Hoffnung auf Heilung zu nähren; und die Hoffnung selbst ist eine Freude. — Giacomo Casanova

Essenzen 3

Wahre Liebe ist langweilig, wie jede andere starke und süchtig machende Droge — sobald die Geschichte von Begegnung und Entdeckung erzählt ist, werden Küsse schnell schal und Zärtlichkeiten ermüdend […] außer natürlich für diejenigen, die sich küssen, zärtlich zueinander sind, während jedes Geräusch und jede Farbe der Welt um sie herum tiefer und leuchtender zu werden scheint. Und wie bei jeder anderen starken Droge ist die wahre erste Liebe wirklich nur für diejenigen interessant, die deren Gefangene geworden sind.

Und was ebenfalls auf jede andere starke und süchtig machende Droge zutrifft, wahre erste Liebe ist gefährlich.

— Stephen King, Glas

Ideale — Neuanfang oder das Ende einer Gesellschaft?

Sie sprießen wie die Pilze aus dem Boden und vermehren sich wie Groupies einer Boygroup der 90er. Sie sehen aus wie von der Stange und verfolgen das gleiche Ideal. Mode und Ansehen bestimmen den Alltag und ursprüngliche Weltbilder geraten in Vergessenheit. Der Sinn einer Gemeinschaft, gleiche Interessen und Ansichten, verblassen so unscheinbar wie Schatten bei Tagesanbruch.

Was ist aus der Szene nur geworden? Denn langsam fange ich schon an, in dieser von Haarteilen und Schweißerbrillen geprägten Masse etwas zu vermissen …

Die Menschen, wie ich sie kennenlernte.

Eine Kultur kann nur an ihrer eigenen Schwäche sterben. — André Malraux

Essenzen 2

René warf sich auf sie wie ein Räuber auf eine Gefangene, und sie wurde mit Wonne seine Gefangene, spürte an ihren Handgelenken, ihren Fußknöcheln, an allen Gliedern und selbst an den verborgensten Stellen ihres Körpers die Bande, die unsichtbarer waren als das feinste Haar, kräftiger als die Seile, mit denen die Liliputaner Gulliver gefesselt hatten, und die ihr Geliebter mit einem einzigen Blick anzog oder löste.

Sie war nicht mehr frei? Ah! Gott sei Dank, sie war nicht mehr frei.

Aber sie fühlte sich leicht, Göttin auf der Wolke, Fisch im Wasser, verloren im Glück. Verloren, weil diese feinen Haare, diese Stricke, die René alle in seiner Hand hielt, das einzige Kraftnetz waren, durch das seither der Strom ihres Lebens floß.

— Pauline Réage, Geschichte der O

Essenzen 1

Ich weine alleine in der Nacht, und wenn ich lache, ist es das Lachen eines Wahnsinnigen, der, von allen verlassen, über sein grauenhaftes Schicksal nur noch irre lachen kann. Ich sehne mich nach meinen Brüdern und Schwestern, Francis, mehr als nach dem Leben. Der Tod soll mir wilkommen sein […]

Ich verfluche die Menschen, die mir, meiner Rasse, das angetan haben. Ich verfluche alle Menschen. Und ich verfluche ihren Gott, der sie erschaffen hat. Die einzige Möglichkeit, wie er seine Existenz unter Beweis stellen könnte, wäre, sie mit Stumpf und Stiel wieder auszurotten. Weißt du, was die Welt dann wirklich sein würde, Francis?

Das Paradies”, antwortete ich.

— Akif Pirinçci, Francis